Eine Gemeinschaft versorgt ein Mutter-Kind-Heim im Nachbarland. Erst gestern haben sie wieder etwas gegen das Elend vor ihrer Haustür getan.
Die kleine Vera steht mit leuchtenden Augen schon zum fünften Mal an der Autotür und nimmt einen großen Karton entgegen. Es sind minus drei Grad in Jiretín. Vera hat nicht mal eine Jacke an. Bis zur Decke ist der schwarze Transporter beladen. Heiko Werder reicht die Sachen vorsichtig nach draußen, damit nichts kaputtgeht. Es dauert nur wenige Minuten bis die Frauen und Kinder die Hilfsgüter ausgeladen haben. Alle Beutel und Pakete werden im Aufenthaltsraum des Mutter-Kind-Heimes abgestellt. Ursula Ivanova, eine Mitarbeiterin der Einrichtung, spricht sehr gut Deutsch und lädt die Gäste aus Spitzkunnersdorf zu Kaffee und Kuchen ein.
Das „Heim der heiligen Maria Magdalena“ Jiretín ist das einzige Mutter-Kind-Heim in Tschechien, das körperlich oder anders benachteiligte alleinstehende Mütter mit ihren Kindern betreut. 21 Mütter und 33 Kinder aus schwierigsten sozialen Verhältnissen leben derzeit hier. Oft kämen die Mütter direkt von der Straße, würden nichts als ihre Kleider auf dem Leib besitzen und das Kind auf dem Arm tragen, erklärt Ursula Ivanova. Im Heim finden die Frauen und Kinder ein Zuhause. Die Mitarbeiter helfen beim Ausfüllen der Anträge auf Sozialhilfe. In der Regel vergehen zwei Monate, bis diese bewilligt würden, bis dahin haben die Frauen keine Krone, so Ivanova.
Die Einrichtung ist nur eine Durchgangsstation in ein eigenständiges Leben. Träger ist die Caritas Litomerice. Der tschechische Staat finanziert die Hälfte der anfallenden Kosten, den Rest muss die Heimleiterin Hana Venturová selbst beschaffen.
Seit 1994 bekommt das Heim dabei Unterstützung aus Spitzkunnersdorf. Angefangen habe alles mit einer Freundschaft zwischen dem damaligen Pfarrer Oehmichen und einem Lehrer einer Varnsdorfer Förderschule, sagt Christina Friedrich, die den Kontakt nach Tschechien hält. Mit dem Verein Nikolaikirche Spitzkunnersdorf, der Kirchgemeinde, Firmen und vielen privaten Spendern ist ein Gemeinschaftswerk entstanden, das die regelmäßigen Hilfstransporte ermöglicht. „Vor allem Bekleidung, Schuhe, Körperpflegemittel und haltbare Lebensmittel werden gebraucht“, sagt Matthias Neumann. Im Mai hat der Verein erstmalig Mütter und Kinder für einige Tage nach Deutschland geholt. Von dem Aufenthalt schwärmen die Frauen und Kinder heute noch. Matthias Neumann verspricht eine Wiederholung. Der Verein organisiert den Aufenthalt wieder ohne Fördermittel. Die Bürokratie zum Beantragen sei so groß, dass der Verein darauf verzichte, so Neumann.
Auch Christina Friedrich ist für die direkte Hilfe und den persönlichen Kontakt. „Es gibt eine Menge Leute, die uns unterstützen, obwohl sie selbst nicht mit Reichtum gesegnet sind“, so Friedrich. Jeder Spender könne nach Jiretín fahren und sich selbst ein Bild machen. „Hilfe für Afrika ist sicher gut, aber das Elend finden wir doch gleich um die Ecke“, sagt sie und erklärt, dass bei der ganzen Hilfsaktion kein Geld fließe. Heiko Werder setzt den Transporter mit der Aufschrift „Werder Bedachungen“ zurück. Der Vorarbeiter will zurück nach Leutersdorf. Erst in der Nacht ist er von der Baustelle im fränkischen Hammelburg gekommen. Am Sonntag geht es nach Köln. Da bleibt nicht viel Zeit für die Familie. Den Hilfstransport hat er trotzdem gern gefahren, sagt Werder.
Vera und zwei Jungen vom Mutter-Kind-Heim in Jiretín (Sankt Georgenthal) zeigen einige Hilfsgüter und Geschenke, die einige Kilometer weiter in Spitzkunnersdorf gesammelt worden sind. Foto: Mario Heinke
Zum Abschied sagt Ursula Ivanova dankend: „Allen Spendern und allen guten Menschen ein schönes Weihnachten.“
(Sächsische Zeitung)